October 31, 2016

»Die Mitte der Welt« (der Film)

Filmempfehlung!

Muss ich mehr sagen?

Ich hatte an der ein oder anderen Stelle (gegenüber dem Autor dieser phantastischen Filmvorlage) durchblicken lassen, dass ich mir Sorgen über eine Verfilmung eines meiner Lieblingsbücher mache. Da kommen Gedanken in den Sinn wie: Die Stimmung und Zeitlosigkeit kann nicht so rüber gebracht werden, die wunderbare bildliche Sprache geht verloren, die Charaktere können nie so lebendig werden wie in meiner Vorstellungskraft, die Farben, Ereignisse und Empfindungen nie so lebendig …

Vor einer Woche hatte ich die Möglichkeit, den Film vor seinem offiziellen Erscheinungsdatum am 10. November zu sehen. Fazit: Die Sorgen sind zerstreut, das Gemüt beruhigt und die Welt ist wieder im Einklang … sozusagen zu ihrer eigenen Mitte zurückgekehrt.




Der 17-jährige Phil kommt von einem französischen Sommerkurs wieder und sieht seine Welt verändert. Nicht, dass die Welt für ihn je heil gewesen wäre. Seinen Vater hat er nie kennengelernt – er weiß nicht einmal, wie er heißt. Das verschweigt Phils Mutter Glass ihm und seiner Zwillingsschwester Dianne vehement. Ein traditionell ‘normales’ Familienleben haben sie also nie kennengelernt. Was auch den Bewohnern der Stadt nicht zusagt – die Familie wird misstrauisch beäugt. Glass’ Männergeschichten sind dafür ebenso verantwortlich wie Diannes stille Art und geheimnisvolle Verbindung zu Tieren und Natur. Phils Homosexualität brächte das Fass zum Überlaufen. Doch bisher hat die Familie immer zusammen gehalten. Das ist nach seiner Rückkehr anders: Das wird in so einfühlsamen Bildern durch die Zerstörung des Waldes durch einen Sturm immer wieder angedeutet, zeigt sich in der Kühle, mit der sich Glass und Dianne plötzlich begegnen und gipfelt in der Begegnung mit Nicholas, Phils neuem Mitschüler, in den er sich Hals über Kopf verliebt. Alles wird anders sein, noch bevor das neue Schuljahr sich dem Ende zuneigt.

Wie es auch schon Andreas Steinhöfel in einem seiner Blogs gesagt hat: Jakob M. Erwa (Drehbuch und Regie) hat es geschafft, den im Buch bewusst zeitlos gehaltenen Stoff wie mühelos in die Gegenwart zu holen. Ihm, seinen Schauspielern und dem gesamten Team ist dabei eine phantastische Glanzleistung gelungen. Ein wunderschöner Film – gefühlvoll, der sich Zeit lässt, witzige Stellen hat, aber auch an Dramatik nicht zu kurz kommt.

Der Ton ist vielleicht nicht mehr zeitlos, aber die Thematik umso mehr. Die bildliche Sprache wird mit Bildsprache ersetzt. Die Charaktere erwachen zum Leben … und so auch die Ereignisse dieser mitreißenden Geschichte.

Phil und Nicholas (wunderbar gespielt von Louis Hofmann und Jannik Schümann) hätte es nicht besser treffen können. Auch Glass, pointiert von Sabine Timoteo in Szene gesetzt, weiß sofort zu überzeugen. An Kat (Svenja Jung) und Tereza (Inka Friedrich) musste ich mich etwas gewöhnen, aber das lag nur an meiner sehr speziellen Vorstellung der beiden, die ich aus dem Buch hatte.

Das Ensemble ist bewusst klein gehalten, die Nebenfiguren oft zum Zweck weggelassen, um sich auf den Nucleus zu konzentrieren: Die Familie und Phils Suche … nach der großen Liebe oder sich selbst, das darf sich jeder selbst überlegen und ansehen.

Werden die Liebhaber des Buches sich an Änderungen (wie die Chronologie von Glass’ und Diannes Konfrontation) stören? – Vielleicht. Werden sie ihnen liebgewonnene Szenen und Handlungsstränge vermissen? – Ganz bestimmt.

Aber dafür ist es eine Adaption und das Buch bietet in diesem Fall mehr Hintergrundwissen, das im Film aber immer wieder und dezent angedeutet wird (Stichpunkt: Diannes Narbe von der Schlacht am Großen Auge). Kleine Dinge, die anderen vielleicht entgehen würden, aber die Kenner in einen verschworenen Kreis aufnehmen.

Die Vorführung, der ich beiwohnen durfte, fand im Zuge der Filmkunsttage Sachsen-Anhalts statt, bei der Hauptdarsteller Louis Hofmann den Film mit dem Publikum ansah und im Anschluss den Filmkunstpreis/Nachwuchs erhielt und ein paar Fragen des Publikums beantwortete. Sehr sympathisch und bodenständig – wohlverdient.

Was bleibt zu sagen: offizieller Filmstart 10. November 2016
Prädikat: Unbedingt ansehen!